
Lösungsorientierung
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In der lösungsorientierten Beratung geht der Fokus umgehend auf mögliche Lösungen, anstatt sich mit dem Ergründen des Problems zu beschäftigen. Es werden nicht die Ursachen (von Problemen, Konflikten, Störungen) analysiert. Von zentralem Interesse ist, wie eine mögliche Lösung oder ein Ziel aussehen könnte.
„Man kann dem Klienten auf der Suche nach Lösungen helfen, ohne die zugrundeliegenden Probleme zu ergründen.“ (Isebaert, 2009)
„Grundlegend ist dabei die Überzeugung, dass der Klient über alle notwendigen Fähigkeiten verfügt, um vom Problem zur Lösung zu kommen – diese nur noch durch geeignete Fragen aufgedeckt und mit Hilfe zieldienlicher Hausaufgaben aktiviert werden müssen.“ (Bamberger, 2015)
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Steve de Shazer und seine Frau Insoo Kim Berg sind die Begründer des lösungsorientierten Modells, welches über praktische Erfahrung und Beobachtungen ihrer Klientel entstanden ist.
Im Jahr 1978 gründeten sie das "Brief Family Therapy Center" in Milwaukee USA, wo sie Tausende von Therapiegesprächen mittels Videos analysierten und herausfanden, dass ihr Universitätswissen nicht der Realität entsprach.
Sie wurden weiter durch Forschungsergebnisse des "Mental Research Institute" in Palo Alto und die Arbeiten von Milton H. Erickson inspiriert, woraus ein paar Jahre später der Ansatz der lösungsorientierten Kurztherapie entstand. Das Modell lehrt, wie Lösungen von den Klienten selbst entwickelt und nicht von den beratenden Personen vorgelegt werden.
Aktuelle Forschungsergebnisse der Hirnforschung stützen den lösungsorientierten Ansatz durch das Konzept der Neuroplastizität: Das Gehirn kann seine Struktur und Funktionen laufend verändern und den Erfahrungen anpassen. Die Fokussierung auf Lösungen bedeutet somit eine Verstärkung von positiven, neuronalen Netzwerken.
Buchhinweise zu Steve de Shazer und Insoo Kim Berg finden Sie bei der Literatur.
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Eine lösungsfokussierte Beratungsperson geht davon aus, dass Ratsuchende allein durch spezifische Gesprächs- und Fragetechniken gestärkt werden können. Die Grundannahmen des lösungsorientierten Modells sind:
Lösung und Problem sind voneinander unabhängig.
Es ist günstig, wenn die Klientin/der Klient die Lösung selbstständig findet und entdeckt.
Eine Person trägt alle Ressourcen in sich, um das Problem zu lösen.
In der Lösungsorientierung geht es darum, gemeinsam ein neues Bild der Zukunft zu entwickeln, welches der Klientin/dem Klienten angenehmer, wünschenswerter und besser erscheint als das bisherige, so dass es sich lohnt, Neues auszuprobieren.
Die lösungsorientierte Beratung folgt drei Grundprinzipien:
Repariere nicht, was nicht kaputt ist!
Finde heraus, was gut funktioniert und passt – und tu mehr davon!
Wenn etwas trotz vieler Anstrengungen nicht gut genug funktioniert oder nicht passt – dann höre damit auf und versuche etwas anderes!
Leitideen des lösungsorientierten Ansatzes:
Man muss das Problem nicht kennen, um eine Lösung zu finden.
Das Gegenüber weiss am besten, was es in einer Beratung will und wann sie beendet ist.
Das Wichtigste ist, herauszufinden, was das Gegenüber will und es darin zu unterstützen.
Die meisten Therapeut/innen und Berater/innen versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen, aber dort steht nichts.
Lesen Sie mehr dazu im Buchoder in der Literatur.
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Eine lösungsorientierte Haltung ist geprägt durch:
Authentizität
Einfache Sprache
Empathie
Fragen
Interesse
Ja-Haltung
Komplimente
Lösungssprache
Neugier
Nicht-Wissen
Ressourcenfokus
Transparenz
Wertschätzung
Zielorientierung
Zuhören
Zusammenfassen
Lesen Sie auch im Buch: "Was Lösungsorientierung ist (und was nicht)" oder "Lösungsorientierung versus Problemorientierung"
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A | Authentizität Klarheit, Menschlichkeit und Echtheit zeigen. Beispiel: „Das berührt mich, zu hören, dass es Ihnen gelungen ist.“ (entsprechend echte Mimik dazu)
B | Beobachtungen statt Bewertungen Wahrnehmungen beschreiben, ohne zu interpretieren. Beispiel: „Mir ist aufgefallen, dass Sie ruhig geblieben sind, obwohl es hektisch war.“
C | Chancen statt Ursachen Hilfreiche Erfahrungen in den Blick nehmen statt Fehler analysieren. Beispiel: „Gab es schon mal einen Moment, in dem es etwas besser war?“
D | Dialog statt Monolog Echter Austausch anstelle von Belehrung oder Analyse. Beispiel: „Was denken Sie darüber?“ statt „Ich glaube, Sie sollten ...“
E | Einfache Sprache Klar und verständlich sprechen – ohne Fachjargon oder leere Floskeln. Beispiel: Statt „Resilienzförderung“ sagen Sie einfach: „Was hilft Ihnen, stark zu bleiben?“
F | Fragen statt Antworten Fragen eröffnen Möglichkeiten, Antworten engen oft ein. Beispiel: „Was würde Ihnen heute helfen, einen kleinen Schritt zu gehen?“
G | Gelingen sichtbar machen Fokus auf das, was schon funktioniert. Beispiel: „Was war heute besser als gestern?“
H | Handeln statt diskutieren Nicht nur reden – ins Tun überleiten. Beispiel: „Was wollen Sie konkret bis nächste Woche ausprobieren?“
I | Interesse statt Wissen Nicht-Wissen und interessiertes Nachfragen zählt. Beispiel: „Erzählen Sie mehr – was meinen Sie genau?“ statt „Ich kenne das, das ist bestimmt so und so.“
J | Ja-Haltung Offenheit und Unterstützung zeigen, auch bei kleinen Schritten. Beispiel: „Ja, das ist ein guter Anfang!“ (auch wenn’s nur ein Minischritt war)
K | Komplimente, echt und konkret Anerkennung ehrlich und spezifisch aussprechen. Beispiel: „Ich finde es stark, dass Sie trotz der Absage weiter nach vorne schauen.“
L | Lösungssprache In Richtung Ziel sprechen – nicht im Problem verharren. Beispiel: „Was möchten Sie stattdessen?“ statt „Was läuft aktuell nicht so gut?“
M | Mut machen Kleine Ideen ernst nehmen und bestärken. Beispiel: „Das klingt wie ein guter erster Schritt – was brauchen Sie, um ihn zu gehen?“
N | Neugier bewahren Jede Situation als neue Erfahrung sehen. Beispiel: „Was war die letzten Tage anders als sonst?“
O | Offenheit für das Nicht-Wissen Nicht alles verstehen müssen – aber gut fragen können. Beispiel: „Was wäre eine hilfreiche Frage für Sie gerade?“
P | Perspektivwechsel ermöglichen Neue Blickwinkel schaffen und Denkblockaden lösen. Beispiel: „Was würde ein guter Freund Ihnen jetzt raten?“
Q | Qualitäten erkennen Stärken sichtbar machen – auch in schwierigen Momenten. Beispiel: „Was war an Ihrer Reaktion hilfreich – auch wenn es sich seltsam anfühlte?“
R | Ressourcenfokus Den Blick auf das richten, was unterstützt – nicht auf das, was fehlt. Beispiel: „Was konnten Sie trotz allem schon nutzen, um durchzukommen?“
S | Schrittchen statt Sprünge Veränderung in kleinen, machbaren Schritten denken. Beispiel: „Was wäre ein Mini-Fortschritt für die nächsten 24 Stunden?“
T | Transparenz Eigene Schritte und Absichten offen benennen. Beispiel: „Ich stelle Ihnen diese Frage, weil ich denke, sie könnte Ihnen Klarheit bringen, wie Sie in Zukunft mit der Situation umgehen möchten.“
U | Unterscheiden statt verallgemeinern Feine Unterschiede erkennen und benennen. Beispiel: „Was genau war an dem Tag anders als sonst?“
V | Verantwortung für den Prozess Den Rahmen halten – die Lösung gehört dem Gegenüber. Beispiel: „Was wäre eine Lösung, die zu Ihnen passt?“
W | Wahlmöglichkeiten statt Belehrung Entscheidungsfreiheit ermöglichen und stärken. Beispiel: Statt zu sagen, was „man“ tun könnte – fragen: „Was wollen Sie ausprobieren?“
X | X-Faktor entdecken Unerwartetes oder Überraschendes bewusst wahrnehmen. Beispiel: „Was hat Sie in letzter Zeit positiv überrascht – an sich selbst oder anderen?“
Y | Yes sagen zum Gegenüber Wohlwollende Grundhaltung statt Bewertung. Beispiel: „Ich traue Ihnen zu, dass Sie Ihren guten Weg finden.“
Z | Zuhören statt verstehen wollen Präsent sein – ohne vorschnelle Schlüsse. Beispiel: „Erzählen Sie ruhig weiter – ich höre zu.“
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In aller Kürze lassen sich die Lehrsätze von Steve de Shazer und Insoo Kim Berg folgendermassen zusammenfassen:
Klienten sind Experten ihres Lebens. Sie wissen am besten, wie sie ihr Leben bislang erfolgreich gemeistert haben. Und wenn sie im Augenblick einen Gesprächspartner suchen, um mit ihm zusammen etwas zu klären, dann spricht das ebenfalls für Lebensexpertise.
Klienten verfügen über vielfältige Ressourcen. Das sind Fähigkeiten, Fertigkeiten, Anlagen, Erfahrungen, Einstellungen, Ziele, Beziehungen usw., um das Leben zu gestalten. Klienten haben diese im Moment vielleicht etwas aus den Augen verloren, können aber im Gespräch mit dem Berater wieder den Zugang gewinnen bzw. sie durch neue Erfahrungen und Training aktivieren.
Probleme sind etwas Normales. Sie gehören zum menschlichen Leben und kennzeichnen Übergänge, wenn man lernen möchte/muss, mit Situationen bzw. Herausforderungen anders umzugehen. Probleme lassen sich insofern als Vorboten von Neuem verstehen.
Probleme sind nicht die ganze Zeit existent. Es gibt immer auch Ausnahmen, d.h. Zeiten, in denen sie Klienten weniger bis fast gar nicht beeinträchtigen.
Lösung heisst, das, was funktioniert, häufiger zu tun. Und Funktionierendes kann man z. B. in den »Ausnahmen« entdecken. Analog gilt: Wenn etwas nicht funktioniert, sollte man etwas anderes probieren.
Lösung wirkt selbstverstärkend. Aus einem ersten Mehr von dem, was funktioniert, resultiert meist ein sich selbst verstärkender Entwicklungsprozess, und Klienten können sich wieder aus der Beratung verabschieden.
Berater erweitern die Optionen. Sie unterstützen Klienten darin, ihr Ressourcenpotential insgesamt zu sehen und autonom zu nutzen.
Berater sind Bewunderer von Autonomie. Sie nehmen Klienten in dieser Autonomie voller Respekt und Wertschätzung wahr.
(Bamberger, 2015)
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Grundannahme: Kein Mensch handelt aus Bosheit destruktiv. Jeder macht von sich aus gesehen das Bestmögliche und handelt so, weil er im Moment nicht anders handeln kann, weil ihm nichts Besseres einfällt. Jedes Verhalten ist immer ein Lösungsversuch, manchmal mit negativen Auswirkungen.
Die sieben lösungsorientierten Annahmen:
Probleme sind Herausforderungen, die jeder Mensch auf seine persönliche Art zu bewältigen sucht.
Wir gehen davon aus, dass alle Menschen ihrem Leben einen positiven Sinn geben wollen und dass die nötigen Ressourcen dazu vorhanden sind. In eigener Sache sind wir alle kundig und kompetent.
Es ist hilfreich und nützlich, dem Gegenüber sorgfältig zuzuhören und ernst zu nehmen, was er/sie sagt.
Wer sich am Gelingen und an den nächsten kleinen Schritten orientiert, findet eher einen Weg.
Nichts ist immer gleich, Ausnahmen deuten auf Lösungen hin.
Menschen beeinflussen sich gegenseitig. Sie kooperieren und entwickeln sich eher und leichter in einem Umfeld, das ihre Stärken und Fähigkeiten unterstützt.
Jede Reaktion ist eine Form von Kooperation, Widerstand auch.
(Baeschlin & Baeschlin, 2001)
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Ein zentrales Element der Lösungsorientierung ist die Bekenntnis zur Einfachheit:
Lösungen statt Probleme: Nicht das Problemverständnis vertiefen, sondern erkunden, wie es ist, wenn es besser ist.
Interaktion statt isolierter Individualität: Unser Verhalten entwickelt sich in der Interaktion mit anderen. In der lösungsfokussierten Arbeit wird nicht über Meinungen, Glaubenssätze oder Werte diskutiert, sondern über beobachtbares Handeln.
Beachte und nutze das, was da ist - nicht das Fehlende: Nicht die Lücke zwischen "Ist" und "Soll" ermitteln, sondern das, was - wenn auch nur selten - heute bereits etwas besser ist.
Die Chancen im Gestern, Heute und Morgen sehen: Chancen in der Zukunft und im Heute zu überlegen, ist ein vertrauter Gedanke. Eher unüblich ist es, auch im "Gestern" bewusst das zu erkunden, was sich früher bereits als Chance zeigte - um auch das zu nutzen.
Einfache Sprache: Statt langer, komplizierter, abstrakter und beeindruckend klingender Worte einfache Alltagsworte benutzen.
Jede Situation als speziell sehen - keine schlecht passende allgemeine Theorie darüber stülpen: Sich offen und neugierig sich jedes Mal von neuem positiv überraschen lassen.